Die arme Seele am Grenzgraben
Zu beiden Seiten der Landstrasse, die von Dorste nach Katlenburg führt, reicht die Feldmark der Nachbargemeinde Berka bis auf etwa 10 Minuten Entfernung an das Dorf Dorste heran. Hier erstrecken sich feuchte Wiesen zur Seite des Grenzgrabens. Oft sah man dort um Mitternacht kleine Irrlichter tanzen. Kluge Leute behaupteten, das sei das Sumpfgas, das aus den Wiesen aufstiege.
Aber ein alter Schäfer hat es meinem Urgroßvater erzählt, was es mit den Lichtern auf sich hat. In alter Zeit wohnten wenig Leute im Tal. Sie fanden mehr Ackerland, als sie gebrauchten. Als aber die Zahl der Menschen immer größer wurde, fand alles Land einen Eigentümer. Bald gab es Streit zwischen den Dorstern und Berkaern um das Land, das an ihren Grenzen lag. Zuletzt einigten sie sich und ließen einen Richter kommen; der sollte entscheiden, wo die Grenze sei.
Die Bauern aus Berka schenkten ihm viel Geld und versprachen ihm noch mehr, wenn er die Grenze ein Stück nach Dorste vorrücken würde. Der Mann wollte erst nicht einwilligen. Das Geld aber hätte er gern gehabt. Der Teufel aber gab ihm einen bösen Gedanken ein; den führte er aus. Er füllte in seine beiden Schuhe eine Handvoll Erde aus dem Berkaer Felde, ging ein großes Stück in die Dorster Flur hinein, hob seine rechte Hand und rief: "Ich schwöre, dass ich hier auf Berkaer Grund und Boden stehe!" Da wurde das Land dem Dorfe Berka zugesprochen.
Der ungerechte Richter aber fand keine Ruhe im Grabe. Um Mitternacht steigt er aus dem Sarge. Mit Ächzen und Stöhnen sucht er die Grenze. Sein Licht flimmert bald hier, bald dort, und die Messkette klappert. Bei einem mitternächtlichen Gewitter sah ein Mann, der spät heimkam, an der Grenze einen Sarg stehen, der aufklappte. Darin lag ein Mann in fremdartiger Kleidung. Erschrocken eilte der Mann dem Dorfe zu. Mit einem Wagen fuhr er mit dem Nachbarn zur Stelle, um den Sarg zu holen. Aber sie fanden ihn nicht. Er musste seit der Zeit viel Spott ertragen.
Viele hundert Jahre später kam der Unselige zur Ruhe. Da wurden die Bauern in Berka übermütig. Sie lebten in Saus und Braus, kamen in Schulden und mussten Land verkaufen. Bis fast an den Berkaer Berg kam fast alles Land in die Hände der Dorster. Und seitdem hat kein Mensch den Ruhelosen mehr gesehen.